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 »Bilder – Blicke – Reflexion: Aus- legungen fotogra- fischer Bilder als prozessionsspezifische Reflexionspraxis in
der künstlerischen Lehrer_innenbildung«
Promotion und Dissertation von Dr. Katja Böhme 20.04.2021
Am 20.04.2021 wurde Katja Böhme promoviert. Sie war vom Wintersemester 2011/2012 bis zum Sommersemes- ter 2017 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich der Kunstdidaktik an der Kunstakademie Münster.
In ihrer Dissertation mit dem Titel »Bilder – Blicke – Reflexion: Auslegungen fotografischer Bilder als pro- zessionsspezifische Reflexionspraxis in der künstleri- schen Lehrer_innenbildung« beschäftigt sie sich mit der Frage, wie (kunst-)pädagogische Praxis in ihrem paradoxen Verhältnis von Unvorhersehbarkeit und Planung differenziert reflektiert werden kann. Die Problemstellung einer bildbasierten Reflexionspraxis wird dabei sowohl theoretisch komplex und vielfältig als auch an einem exemplarischen, an der Kunstakademie Münster erprobten Format des Umgangs mit fotografi- schem Bildmaterial untersucht. Die Studie leistet einen einschlägigen Beitrag zu einer grundlagentheoretisch fundierten phänomenologischen Praxisforschung auf dem Feld der kunstpädagogischen Professionalisierung und weist über dieses hinaus. Sie argumentiert für eine bildgestützte Reflexionspraxis, die auch Erfahrungs- dimensionen eigener künstlerischer Praxis mit einbe- ziehen kann.
Die Prüfungskommission bestand aus Prof.in Dr. Birgit Engel, Prof.in Dr. Maria Peters (Universität Bremen) und Prof. Dr. Gerd Blum. Sowohl die Disserta- tionsschrift als auch die Disputation wurden mit der Note summa cum laude bewertet.
Abstract:
[...] du kannst im kopf dir so sachen irgendwie kannst genau durchgehen und kannst sie irgendwie planen und dir das genau vorstellen, aber (holt Luft) dieser faktor der schüler, die dann ja halt auch teil dieses projektes, die sprengen so oft den rahmen und machen daraus was völlig u und machen das zu ihrem ding, was ja eigentlich auch total, was ja auch richtig gut ist und was ja auch wichtig ist, aber ähm genau wo du halt einfach nicht mit rechnest [...]
Auszug aus einem Gespräch über das Vermitt- lungs-Projekt »SCHALTER!« mit einer Lehramtsstu- dierenden der Kunstakademie Münster im Rahmen der Studie Bilder – Blicke – Reflexion.
Ausgangslage der Promotion bildet die Auseinan- dersetzung mit einem phänomenologisch orientierten Bildungsverständnis, in dem Lernen und Lehren in einem Spannungsverhältnis von Absichtlichkeit und Pathos charakterisiert wird: Zwischen dem, was Lehrer_innen zu vermitteln wünschen, und dem, was Schüler_innen sich aneignen, was sie trifft und interessiert, zieht sich ein unumgänglicher »Riss« (vgl. Waldenfels 2013, S. 165 ff.). Schüler_innen erweisen sich dem Blick von pädagogisch Handelnden immer wieder als »opak« und »intransparent« (Glissant 2005, S. 54), sodass im Vor- hinein kaum bestimmt werden kann, welche Erfahrungen sich später tatsächlich für Schüler_innen als bildungs- relevant erweisen werden. Die Gestaltung (kunst-)päda- gogischer Prozesse unterliegt daher nicht vollkommen der »Verfügungsgewalt« (Meyer-Drawe 2011, S. 199) pädagogisch Handelnder, sondern es gibt jene Facetten des Geschehens und Begehrlichkeiten, die pädagogisch absichtsvollem Handeln unentwegt zuwiderlaufen.
Dass im Unterricht etwas von den anderen herrührt und sich etwas Unvorhersehbares ereignet, ist im päda- gogischen Kontext nicht harmlos. Oftmals zeigt sich das Unvorhersehbare mit Affekten verbunden: von Begeis- terung, Irritation bis Unbehagen oder gar Ablehnung. So ist es auch nicht voraussetzungslos, sich als Lehrperson neugierig und offen darauf einzulassen. Während das Erwartbare eher beruhige, hafte dem Plötzlichen und dem Ereignishaften oft allein schon aufgrund seiner Unvorhersehbarkeit etwas Beunruhigendes an (Schür- mann, in: Alloa 2013, S. 17). Um im Unterrichtsgesche- hen aber nicht sofort jene Momente zu disqualifizieren oder didaktisch zu unterbinden, die sich als sperrig oder auf den ersten Blick als unverständlich erweisen, braucht es seitens der Lehrpersonen eine differenzierte Auseinandersetzung und die Bereitschaft, auch jenen Momenten – entgegen der eigenen Erwartung – eine Bildungsrelevanz zuzutrauen.
An diesem Punkt setzt das Forschungsprojekt an und fragt nach Möglichkeiten, eben diese fragilen Mo- mente (kunst-)pädagogischer Praxis differenzierter verstehen zu können: Wie kann im Rahmen der (künst- lerischen) Lehrer_innenbildung eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem paradoxen Verhältnis von Unverfügbarkeit und bildender Erfahrung hoch- schuldidaktisch angebahnt und methodisch unterstützt werden? Anders gefragt: Wie kann sich eine Annäherung an die verborgene Perspektive von Schüler_innen und an kunstpädagogische Prozesse ereignen – in Anerkennung ihrer Unverfügbarkeit, Fremdheit und Komplexitäten?
Diese Fragen werden an einem exemplarischen, in der Hochschule erprobten Format verhandelt, das Lehramtsstudierende im Umgang mit fotografischen Bildern zu einem reflexiv-forschenden Bezug auf die eigene pädagogische Erfahrung anregt. Das Praxisfor- schungsprojekt zeigt, dass sich fotografische Bilder in besonderer Weise anbieten, um mit Studierenden den Mehrdeutigkeiten und Komplexitäten auf die Spur zu






















































































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