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01–02 / Im Wechselspiel von »Geste sein« und »Kör- per zeigen«: Fotografische Bilder als Spuren der Wahrnehmungen von fotografierenden und fotogra- fierten Personen (Foto: ©️ Katja Böhme 2021)
Weise deutlich, sondern darüber hinaus das Potenzial der Forschungsmethode für eine forschungsbasierte Lehre und für die Weiterentwicklung kunsttherapeuti- scher Präventionsangebote aufgezeigt.
Ulrike Barth (Alanus Hochschule Mannheim), Diet- lind Gloystein (Humboldt-Universität zu Berlin) und Angelika Wiehl (Alanus Hochschule Mannheim) stellten Wahrnehmungsvignetten als Medium verstehender Diagnostik und deren Einsatz im Rahmen der an In- klusion orientierten Studiengänge zur Ausbildung von Pädagog*innen vor. Um Diversitätskompetenz und dia- gnostische Kompetenz auszubilden und Kinder in ihrem ganzheitlichen Handeln und dem Beziehungsgeflecht wahrnehmen und verstehen zu können, sei es nötig, zen- trale Differenzdimensionen zu kennen und diagnostische Methoden zu entwickeln, so die Forscherinnen. In diesem Professionalisierungsprozess von Studierenden erweist sich das Schreiben, Reflektieren und Besprechen von Wahrnehmungsvignetten als wertvoll. Diese helfen dabei zu sensibilisieren, die Aufmerksamkeit zu schärfen und eine fragende Haltung einzunehmen, um Vorannahmen, Haltungen und Handlungsweisen zu reflektieren wie zu verändern.
»Körper zeigen, Geste sein«
Unter diesem Titel setzte sich Katja Böhme (UdK Berlin und ehemalige Doktorandin der Kunstakademie Mün- ster) mit der Leiblichkeit auseinander, die sich in und aus fotografischen Bildern vermittelt. Böhme hat in ihrer Dissertation ein hochschuldidaktisches Setting entworfen, in dem mittels fotografischer Bilder die »Mehrdeutigkeiten und Komplexitäten« pädagogischer Situationen auf eine Weise reflektiert werden können, die der Wahrnehmung einen großen Stellenwert ein- räumt. Im forschenden Umgang mit Fotografien werden Fotos nicht nur als leibliche Geste des Fotografierenden, sondern auch als Spuren der leiblichen Erfahrung der Fotografierten verstanden. In diesem Prozess wird Bli- cken und Stimmen Präsenz verliehen, die am Geschehen vor und hinter der Kamera beteiligt sind, um zu erahnen, welche leiblichen Erfahrungsmöglichkeiten sich den Fo- tografierten eröffnen. Anhand von Fotos (vgl. Abb. 01– 02), die in einem Projekt mit Studierenden entstanden, konnten die Teilnehmenden diesen Blickwechsel und die Herausforderungen des In-Sprache-Fassens erproben.
Fazit 111
So groß die Vielfalt der Beiträge des Forschungskollo- quiums, die hier nicht alle aufgeführt werden können,
auch war, so konnten in der abschließenden Reflexi- W onsrunde hinsichtlich des Ziels der Tagung, sich »der E Bedeutung der leiblichen Wahrnehmung in der (kunst-) R pädagogischen Praxis und einer sich darauf beziehenden K Forschung für die Professionalisierung von (angehen- S den) Pädagog*innen und Lehrer*innen« anzunähern, T einige Verbindungslinien ausgemacht und gemeinsame Ä Erkenntnisse formuliert werden: T ° Um Erfahrungen auf die Spur zu kommen, ist es un- T
abdinglich, Leiblichkeit einzubeziehen. Im Leib sind E wir mit der Welt, mit den anderen verbunden und an N sie gebunden. Responsivität als Konsequenz dieser Verwobenheit stellt eine gemeinsame Grundlage der / verschiedenen Forschungsansätze dar.
° Deutlich wurde, dass sich künstlerische Zugänge in W besonderer Weise als geeignet erweisen, um (geteilte) I leibliche Erfahrungen zum Ausdruck zu bringen und S daher für die Unterrichts- und Lernforschung, die S Professionalisierung angehender Pädagog*innen und E die Professionsforschung eingesetzt werden. N
° Die Perspektive der Beobachtenden, Wahrnehmen- S den bzw. Forschenden ist jeweils genau zu klären C und zu verdeutlichen: So finden sich z. B. Vignetten- H schreibende in der Haltung der Miterfahrung im Feld A ein, während Erinnerungsbilder sich als Spuren be- F deutsamer (Unterrichts-) Ereignisse zeigen, die erst T im Rückblick bewusst werden können. E
° In der Reflexion und Deutung gilt es, Vorverständnisse N zu klären, denn eine vermeintlich absolute Neutralität
wird bei phänomenologischen Zugängen nicht ange- & strebt und wissenschaftliche Validität, auch im Sinne
einer verallgemeinernden Erkenntnisgewinnung, geht K hier mit einer Bewusstwerdung eigener Vorannahmen U einher, die wiederum mit leiblichen und responsiven N Erfahrungen verknüpft sind. S
Ein gemeinsames Anliegen eint die verschiedenen T method(olog)ischen Zugänge: Es geht darum, fremden B und eigenen Erfahrungen in ihren leiblichen Dimensionen E näherzukommen und diese der Reflexion zugänglich zu Z machen. Dies erfordert Kreativität und Mut, neue Wege O zu gehen und diese nach allen Regeln der Kunst zu doku- G mentieren und zu reflektieren. Es braucht aber auch den E Austausch, die Zusammenarbeit vieler Forscher*innen, N das Voneinander-Lernen. Das Kunstpädagogische For- E schungskolloquium Münster hat sich diesem Anliegen verschrieben. Wir freuen uns auf die Fortsetzung! L
Evi Agostini & Gabriele Rathgeb E H Ausführlicher Bericht unter: https://bit.ly/3E05q5V R E
Über die Autorinnen:
Mag.a Gabriele Rathgeb, PhD, ist Mitarbeiterin am In- stitut für fachdidaktische und bildungswissenschaft- liche Forschung und Entwicklung der Pädagogischen Hochschule Tirol.
Ass.-Prof.in Evi Agostini, PhD, ist Tenure-Track-Pro- fessorin am Institut für Lehrer*innenbildung und am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien.















































































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