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  Klasse Irene Hohenbüchler »ANT ON«
Zahllose Male thematisiert, zelebriert oder mokiert, gilt der Fokus auf das Selbst als zentrales Thema der zeitgenössischen Kunst, werkintern und -extern. Die- se Konzentration auf das Selbst kann sich durch das Verkörpern individueller Motive mittels Tätowierungen äußern. Das uniforme Tätowieren verdreht aber diesen Wunsch nach Individualität, da es Individuen durch einen Aspekt von Gleichheit miteinander verbindet. Damit reflektieren die Tätowierungen das Formicarium in der Mitte des Raumes und erweitern den Ameisenstaat, der in ihm lebt.
Organisiert und altruistisch arbeiten die Insekten bis zum Lebensende füreinander und miteinander. Evolu- tionär hat sich ihre Zusammenarbeit als überlebens-
wichtig entwickelt. Der einzelne Arbeitsteil einer Ameise ist hierbei so marginal, dass man den Staat insgesamt als einen Organismus ansehen kann. Würde jeder Amei- se das Sozialverhalten fehlen, würde der Staat jedoch zusammenbrechen. Es kommt also auf jedes einzelne Insekt an, ohne dass es dabei eine wirklich markante Rolle spielt. Ausnahme ist hierbei lediglich die Königin, die sich in ihrer Größe, Aufgabe und ihrer Einzigartigkeit von ihren Artgenossen unterscheidet. Im Zentrum ihrer Rolle steht jedoch, mehr noch als bei Arbeiterinnen, die Fortpflanzung und Erhaltung ihres Staates zu sichern. Durch die relative Eindimensionalität einer Ameise, ob Arbeiterin, Drohne oder Königin, ist ihre Lebenssituation sicher nicht holistisch auf die des Menschen übertrag- bar. Der Vergleich gestattet eine Rückbesinnung auf die Relevanz der menschlichen Synergie, deren Produktio- nen einen persönlichen Ausdruck in Geschmack und Stil erst ermöglichen. Ein Bewusstsein für diese Hierarchie der Dinge gerät an klassischen Orten der bildenden
  Kunst gerne in Vergessenheit.
Jona Bal
  




























































































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