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 Forschung von Kunstpädagogik, Mapping – Orte im öffentlichen Raum erforschen und kartieren, Erfinden von Vermittlungssituationen für schulische und außer- schulische Lernfelder, digitale Lernarrangements im Kontext einer postdigitalen Kunst- und Kulturentwick- lung erfinden, erproben und reflektieren, forschendes Lernen und Studieren.
In Ihrem Beitrag »Scheinbar unscheinbar« stellte Judit Villiger das von ihr hochschuldidaktisch erprobte künstlerische Format einer Arbeit mit »Sprachstücken« im Rahmen der Lehrer*innenbildung vor. Die Methode der Sprachstücke führe, ausgehend von einer künstle- rischen Haltung und Sensibilität, die die Studierenden aus ihrem Studium mitbringen, an Situationen von Un- terricht heran, um daran genaues Hin-Sehen zu üben. Dieser Vorgang ermögliche es, auch in scheinbar ver- trauten Abläufen Besonderheiten wahrzunehmen und aufzumerken. Ziel des Vorhabens sei es darüber hinaus, durch eine anschließende gemeinsame Reflexion auch unhinterfragtes Sehen zu verlernen. In den Sprachstü- cken selbst könne so schließlich eine andere, nicht rein semantische, auch poetische Sprache entwickelt und reflexiv zugrunde gelegt werden. Den Studierenden werde damit sowohl eine künstlerische als auch eine kunstpädagogische Sensibilität zugestanden, auf deren Grundlage sie diese Prozesse für sich und andere wahr- nehmbar, bewusst und verständlich machen können.
Judit Villiger lehrt seit 2001 am Lehrerseminar Luzern, später der Kantonsschule Musegg, Luzern und seit 2012 an der Zürcher Hochschule der Künste, ZHdK, in den Bereichen des Bachelor und des Master of Education. Seit 2016 ist sie zeitgleich Initiatorin, Kuratorin und Kunstvermittlerin im Museum Haus zur Glocke in Steckborn am Bodensee. Seit 2017 ist sie Doktorandin an der Kunstakademie Münster bei Prof.in Dr. Birgit Engel. Die Zweitbetreuung wurde von Prof. Dr. Nils Röller an der ZHdK übernommen.
Unter dem Titel »Knetgespräche 2021« stellte die Künstlerin Ute Reeh eine Integrative Methode kreativer Prozesse vor, die sie als Künstlerin in der Begegnung mit öffentlichen Räumen und Bildungsräumen praktiziert.
Elementares Merkmal der integrativen Methode kollektiver kreativer Prozesse sei zunächst das Auf- spüren und Zulassen der unterschiedlichen Perspek- tiven der Beteiligten, deren Intuition immer wieder entscheidender Ausgangspunkt sei. Weiteres Merkmal sei, dass Spezialist*innen immer erst im zweiten Schritt beteiligt würden. Damit wird ein Raum geschaffen, in dem Ideen und Entwürfe bei allem Idealismus oder auch allen Unzulänglichkeiten vorurteilsfrei, hierarchiefrei und zwanglos erstellt, betrachtet, ernst genommen und durch das Integrieren weiterer Perspektiven bereichert werden können. Auf diesem Weg könnten, so Ute Reeh, Resultate von hohem qualitativem Wert entstehen.
Ute Reehs Arbeitsschwerpunkte sind Zeichnun- gen, Performances, Videos, Skulpturen im öffentlichen Raum, komplexe Prozesse und deren Form. Entschei- dend sind Wechselwirkungen von physischer Präsenz, eigenen Wahrnehmungen, Erfahrungen und sozialen
Bezügen. Sie studierte bei Harry Kramer und Alf Schuler in Kassel und bei David Rabinowitch und Nam June Paik an der Kunstakademie Düsseldorf. Sie war Meisterschülerin bei Nam June Paik, lebt und arbeitet in Düsseldorf.
In ihrem Beitrag »Materialität & Medialität – Wahr- nehmung & Kritik« fragte Birgit Engel nach den besonde- ren Impulsen, die im Rahmen einer postdigitalen Kultur von den Künsten für eine bildungsoffene und kritische kunstpädagogische Forschung ausgehen können. Am Beispiel einer künstlerischen Arbeit von Johanna Reich zum Thema »Face-Detection« wurden die sich entfal- tenden ästhetisch-künstlerischen Wahrnehmungsereig- nisse als singuläre Phänomene interpretiert, die in der Begegnung mit dem algorithmisch determinierten Sys- tem der »Face-Detection« eine neue Sicht- und Erkennt- nisweise ermöglichten. Eine sich hierbei paradigmatisch zeigende künstlerische Erfahrung könne so beispielhaft zu einem Schlüsselmoment innerhalb von Forschungs- und Erkenntnisprozessen werden. Forschungsrelevant sei dies immer dann, wenn die kontextuell relevanten singulären Ereignisse und Bezugnahmen zu einer Blick- umkehr führen und dies auch für andere performativ und verständlich werden könne.
Prof.in Dr. Birgit Engel ist seit 2011 Professorin für Kunstdidaktik und ästhetische Bildung an der Kunstakademie Münster. Ihre Forschungs- und Ar- beitsschwerpunkte sind: künstlerische, ästhetische und professionsbezogene Bildungsprozesse, Wahrneh- mung und Raum in Kunst und Pädagogik, Gutachter- und Beratertätigkeiten, u. a. für den DAAD, die HLZ (Bielefeld), OeAD und das BMWFW Österreich, die ZHdK (Zürich), die Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft, die Universität Innsbruck, das Mozarte- um in Salzburg u. a.
Birgit Engel

























































































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