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 »Kunstpädagogische
Forschungsmethoden
mit künstlerischen und
ästhetischen Schwer-
punktsetzungen«
Tagungsbericht zum 13. Internationalen kunstpädago- gischen Forschungskolloquium an der Kunstakademie Münster
09.07.2021–10.07.2021
Im Zentrum des zweiten kunstpädagogischen Kolloqui- ums im Juli 2021 standen Beiträge, die künstlerische Forschungsausrichtungen methodisch-systematisch in ihre Arbeit einbeziehen. Besonders bereichert wurde der so ausgerichtete wissenschaftliche Austausch diesmal durch zwei internationale Spezialistinnen der Universi- ty of British Columbia, Vancouver, BC, Kanada und der Universität für angewandte Kunst Wien.
Mit der Frage nach der Bedeutung der künstlerischen Erfahrung für die Praxisforschung eröffnete Tobias Loemke die Reihe der Beiträge, die diesmal den Blick auf die Relevanz der Künste und der künstlerischen Erfah- rung für Forschung und Lehre richteten. Er knüpfte in seinem Vortrag an eine aktuelle Empfehlung des Wissen- schaftsrats (2021) der Kunst- und Musikhochschulen an, der sich dafür ausspricht, künstlerisches Forschen für die postgraduale Phase stark zu machen, ein Forschen also, das die künstlerische Erfahrung der Promovend*innen
grundlegend als eine epistemologische Leistung aner- kennt. Loemke begründete seine Unterstützung dieser wegweisenden Empfehlung u. a. damit, dass forschende Kunstpädagog*innen bislang dazu gezwungen seien, Theorien, Methoden und Paradigmen benachbarter Dis- ziplinen in den Vordergrund einer Forschung zu stellen, die mit den eigenen künstlerischen Vorgehensweisen systematisch oft nur schwer zu vereinbaren seien. Dann trete die künstlerische Erfahrung selbst, sei es die eigene oder die der Schüler*innen, in den Hintergrund. Jedoch biete – so Loemke – das künstlerische Handeln selbst für Praxisforschungen sehr lebendige und interessante Anschlussmöglichkeiten in einer Vielfalt materieller, medialer, performativer, aber auch konzeptueller Qua- litäten, die die Entwicklung geeigneter Forschungsme- thodologien auf Basis tiefgreifender künstlerischer Erfahrungen unterstützen könnten.
Prof. Dr. Tobias Loemke ist seit 2016 Professor für Kunst und Kunstpädagogik an den Hochschulstudien- gängen Künstlerische Therapien der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt (HfWU) Nürtingen-Geislingen; seit 2019 ist er Prodekan für Lehre an der Fakultät Umwelt Gestaltung & Therapie.
In ihrer Präsentation »Walking Alongside the Poten- tials of A/r/tography« stellte Rita Irvin der University of British Columbia, Vancouver, einige der frühen Prin- zipien und Konzepte ihres Arbeitsschwerpunktes und deren Prozessqualitäten vor. Das forschende Vorgehen im Rahmen einer a/r/tography sei – so Irwin – eine auf Kunst basierende Form der Untersuchung, die sich nicht an die standardisierten Kriterien von traditioneller Forschung bindet und gleichzeitig alternative Möglich- keiten des Verstehens hervorruft und provoziert. Als kunstbasierte Methode beruhe sie auf der Körperlichkeit des Machens und Schaffens und bindet sich dabei nicht an die bereits etablierten Forschungsstrukturen. Der Prozess beginne mit einem künstlerischen Impuls und werde im Weiteren durch einen kontinuierlichen Prozess des Hinterfragens gerahmt. Künstlerische Kontexte, Materialien und Prozesse schaffen dabei transformative Ereignisse, deren Verständnisse nicht vorherbestimmt seien. In ihnen bilden sich interaktive Räume, in denen sich auch neue gemeinsame Erkenntnisräume erschlie- ßen lassen. Dieses Vorgehen wurde an inhaltlichen For- schungsschwerpunkten und Verfahrensweisen einiger Arbeiten ihrer Doktorand*innen beispielhaft vorgestellt.
Prof.in Dr. Rita L. Irwin ist Professorin für Kunst- pädagogik und Lehrplanstudien sowie Leiterin der Abteilung für Lehrplanstudien an der University of British Columbia, Vancouver, BC, Kanada. Zugleich ist sie Künstlerin, Forscherin und Lehrerin, die sich stark für die Künste und die Bildung engagiert. In Anerkennung ihrer zahlreichen Leistungen hat sie eine Vielzahl großer Auszeichnungen für ihre Lehrtä- tigkeit erhalten. Sie ist in einer Reihe von nationalen und internationalen Organisationen führend, u. a. als Präsidentin der Canadian Association of Curriculum Studies, der Canadian and International Society for Education through Art und ebenso als Vorsitzende der »World Alliance for Arts Education«.
Auch die Forschungs- und Arbeitsweise von Ruth Mathäus Berr versteht sich als eine künstlerische Forschungsweise, die sich zugleich stärker auf die Intervention in sozialen gesellschaftlichen Kontexten richtet. In ihrer Präsentation stellte sie die künstleri- schen Forschungsprojekte D.A.S.DementiaArtsSociety (www.dementiaartssociety.com) und DEMEDARTS (www.demedarts.com) vor. Hierbei geht es inhaltlich um künstlerische Forschung zu Wahrnehmungs- und Hand- lungsmustern im Kontext einer alternden Gesellschaft. DEMEDARTS bedeutet Dementia.Empathy.Education. Arts. Sie macht es sich zur Aufgabe, die Gesellschaft für das Thema Demenz zu sensibilisieren. Zu den Zielgrup- pen gehören Interessierte, Menschen mit Demenz, deren Angehörige, Pflegende und im Besonderen auch junge Menschen. DEMEDARTS widmet sich jedoch Demenz positiv, produktiv und nachhaltig. Das Projekt entwickelt künstlerisch-forschende und kunstdidaktische Strate- gien. Es arbeitet mit Expert*innen aus den Bereichen Kunst, Bildung (Schulen, Universitäten), Kunsttherapie, Gesundheit und Pflege zusammen.





















































































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